Mit dem Wasser leben

(in: BAUKULTUR 2_2011, S. 21-23)

Vom Kampf zur Anpassung
Der Klimawandel und damit verbunden ein Anstieg der Meere sind heute keine Phantasien, sondern bittere reale und statistisch nachweisbare Tatsachen. Unsere derzeitigen heißen Sommer und kalten Winter sprechen nicht dagegen, sondern sind nur ein Vorgeschmack. Dabei ist der Kampf gegen das Wasser uralt. Früher schützte man sich z. B. gegen die tobenden Fluten der Nordsee durch immer höhere Deiche. Bereits um 1930 wurde das riesige Ijsselmeer durch den 30 km langen Abschlussdeich gezähmt. Die eingedeichten Gebiete (Polder) liegen heute bis zu 7 m unter dem Meeresspiegel. Mit Pumpen und Mühlen werden sie mühsam entwässert.Das Mitteltidewasser der Nordsee hat durch die Erwärmung der Ozeane und damit der Ausdehnung ihrer Wassermassen seit 1965 um 17 cm zugenommen. Der weitere Anstieg um ca. 40 cm muss erwartet werden. Ein Expertenausschuss – die Deltakommission - hat ermittelt, dass bis zum Jahr 2100 der Meeresspiegel bis 1,3 m und bis zum Jahr 2200 sogar bis zu 4 m ansteigen wird.
Der Anstieg des Meeresspiegels gehört zu den ständig diskutierten Tagesthemen, aber die notwendigen Folgerungen stecken noch in den Kinderschuhen. Hier soll es jedoch nicht um die Wasserbauwerke gehen, sondern um die städtebaulichen Folgen für die Menschen, um den Strategiewechsel vom Kampf zur Anpassung.

Neue städtebauliche Entwicklungen
Die Landes- und Regionalbehörden, Raumplaner und Architekten stellen sich langsam auf neue Entwicklungen ein. In den Niederlanden gibt es erste „waterwoningen“, also treibende Stadtviertel, die sich wie Eisschollen bewegen oder auf Stelzen im Wasser verankert sind. Es sind eigentlich Raumzellen, keine Immobilien, Hausboote oder Wohnarchen, die auf schwimmfähige Betonwannen aufgebaut sind. Die Visionen dieser neuen Projekte reichen bis hin zu komplett geplanten Wasserstädten mit autarker Ver- und Entsorgungsstruktur. Die Devise lautet: „Mit dem Wasser leben“.
Eine geordnete Raumplanung muss die planungsrechtlichen Voraussetzungen schaffen, um schwimmende Gebäude und Siedlungen zu ermöglichen. Seit jeher haben Menschen in Hausbooten auf Seen und Flüssen gewohnt und überlebt. In Ostasien dominieren gedrängte Ansammlungen von eher ärmlichen Dschunken und schwimmenden Läden mit bescheidenem oder gar unmenschlichem Wohnstandard. Ähnlich Beispiele gibt es in den wasserreichen Gebieten Südamerikas. Anders in Europa. Hier hat sich ein eher elitärer Lebensstil des Wasserlebens herausgebildet. Die Menschen haben das Gefühl des Andersseins. Es sind Weltenbummler, Aussteiger und wohlhabende Bürger.
Ein grundsätzlicher Widerspruch zum Landleben kennzeichnet die schwimmende Immobilie: Fortbewegung und gleichzeitig sesshafte Nutzung zum Arbeiten und Wohnen. Dabei reicht die Palette von primitiven Hobbybastler-Holzbuden auf Prahms bis hin zu mehrstöckigen suburbanen Villen.
Der Traum vom Wohnen auf dem Wasser ist für Binnenländer nur schwer verständlich. Ein Gang durch Amsterdam zeigt aber den Charme solcher Wohnweisen. Dort liegen in den Grachten der Altstadt Hunderte ständig bewohnter Schiffe, meistens Holzhäuser auf alten Lastkähnen, Pontons oder Wassertanks. Daneben entstehen in Serienproduktion auch moderne mobile Wohnzellen mit hohem Wohnstandard, vergleichbar Motoryachten oder großen Wohnwagen. Sie breiten sich in den nordischen Ländern an den Flussrändern, Natur- und  Baggerseen aus.

„Framing seascape“
Architekten Kern + Repper, Partnerschaft BLAUWERK, München

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Framing seascape ist weder ein Haus, noch ein Boot, sondern ein Rahmen mit maximalem Kontakt zur Wasserfläche. Die einfache Geometrie ermöglicht eine große Flexibilität. Durch Zusammenschluss entstehen temporäre Nachbarschaften, wobei die ausklappbaren Terrassen als Verbindungswege dienen. Ähnlich einem traditionellen japanischen Haus sind alle Nutzungen im Boden oder in Wänden untergebracht.
Das energieautarke, 21 t schwere Gefährt besitzt  Frisch- und Abwassertanks. Der Tiefgang beträgt im fahrenden Zustand 60 cm, im ruhenden 100 cm. Der Rumpf besteht aus dünnwandigem Faserbeton. Die Außenhaut ist mit einer diffusionsoffenen Polyurethan-Spritzelastomer-Beschichtung versehen. Jedes Boot besitzt ein eigenes Rettungsboot

„The last resort“
Architekt Rafael Schmidt, ETH Zürich

Wettbewerb „Mobile schwimmende Architektur – Lausitzer Seenland“ der Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land 2008, Preis

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Das Hausboot für 6 Personen mit einer Länge von 15 m ist zweigeschossig konzipiert. Im unteren Geschoss befinden sich Schlafkojen und die Bordtechnik. Im Obergeschoss bilden Küche und Wohnraum sowie zwei Schlafkojen, die auch als Arbeitsraum genutzt werden können, einen großzügigen offenen Raum. Der ungestörte Blick in die Landschaft stärkt die räumliche Qualität. Eine gerade Treppe führt zum Dach.
Das Formspiel der Bauelemente geht zusammen mit dem Wellengang. Dach und Boden sind als Flächentragwerk mit Verstärkungsrippen konstruiert. Als Materialien wurden Faserkunststoffe gewählt. Die Aussteifung erfolgt über einen Kern.
Die Versorgung aller elektrischen Anlagen erfolgt über eine Solaranlage mit einer Leistung von 5.000 pW. Die Energiespeicherung erfolgt durch eine Bordbatterie 1.000 Ah und eine Antriebsbatterie 1.800 Ah. Die Sonneneinstrahlung wurde durch große Dachüberstände und geschlossene Fassadenflächen minimiert. Die Lamellen sind verstellbar. Als Heizung dienen Wassersonden und eine Wärmepumpe.
Da das Hausboot weitgehend autark funktioniert, sind Landanschlüsse nur als Ausnahme erforderlich. Der Antrieb für eher gemächliche Fahrten erfordert 2 x 10 kW. Eine Realisierungsstudie kommt auf 178.348 Euro (Stand 2008).

„Hubmodul“
Architekt Martin Langner, Walzbachtal

Wettbewerb „Mobile schwimmende Architektur – Lausitzer Seenland“ der Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land 2008, Sonderankauf

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Das futuristische mobile Gehäuse kann durch eine Hydraulikkolben-Konstruktion aus dem ruhenden Wasser auf 7 m angehoben und fortbewegt werden. Dadurch entfällt beim Fahren der Wasserwiderstand. Bei Sturm oder im Hafen beträgt die abgesenkte Höhe zur Schwerpunktverlagerung nur 3,8 m. Der Grund für die vertikale Verstellbarkeit liegt darin, dass alle klassischen Schiffskörper sich nur träge und schwerfällig fortbewegen, während das angehobene Gehäuse leicht dahingleitet. Mit seiner Sendeantenne zur Windüberwachung und Funkempfang erhält es ein erkennbares Merkmal.
Der Korpus ist vielfältig nutzbar für 4 Personen. Das schwimmende Wohnen wird aus der Höhe von 7 m neu erlebbar. Das autarke Energiekonzept deckt den gesamten Wärme-, Kühl- und Elektrizitätsbedarf.
Das unverschattete Bauen zu Wasser erlaubt eine optimale Nutzung solarer Energien. Eine kompakte Kollektorenschicht in den seitlichen Fassaden von 33 mm Stärke wandelt Sonnenenergie in nutzbare Wärme und elektrische Energie. Transluzente Photovoltaik-Elemente lassen ungenutzte Sonnenstrahlen zu den Wasserkollektoren durchdringen. Von hier erfolgt die Vorwärmung der Zuluft im Winter.

Parallel zur Entwicklung von Wohnbooten auf dem Wasser verläuft die Nachfrage nach mobilen Fertighäusern, Containern und Wohnboxen zur Stationierung in bisher weltabgeschiedenen unbewohnten Gebieten, z. B. in den Wüsten, in der Antarktis und in den Polarzonen. Auch hier ist der Untergrund meistens nicht tragfähig. Die Bewohner sind Forschergruppen, Geologen oder moderne Nomaden ebenso wie Bauleitungen, Beobachtungs- und Wachposten, Wanderarbeiter, Erntehelfer, Migranten oder Katastrophengeschädigte. Die geforderten Raumzellen sind Modulbauten, die an beliebige Orte transportiert und montiert werden können.

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