Die Kommunikation mit seinen Mitgliedern, mit Architekten und Ingenieuren sowie der Öffentlichkeit hat für den Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine einen hohen Stellenwert.

Die beiden wichtigsten Bausteine sind hier die zweimonatlich erscheinende Verbands- und Abonnentenzeitschrift BAUKULTUR aber auch dieser Internetauftritt.

Der Verband will aktuell informieren, politische Entscheidungen im Sinne seiner Mitglieder aufmerksam und kritisch begleiten sowie umgekehrt Architekten und Ingenieure aus seinen eigenen Reihen einer breiten Öffentlichkeit vorstellen. Das alles geschieht vor dem Hintergrund, allen Beteiligten und Interessenten am Planen und Bauen in Deutschland eine Kommunikationsplattform zu bieten.

100 Jahre Stadttheater Gießen

Im Jahr 1880 konstituierte sich in Gießen ein Theaterverein, der sich zum Ziel setzte, das künstlerische Niveau des Theaters kontinuierlich zu verbessern. Initiatoren waren u.a. mehrere Professoren der Gießener Universität, die Gastspiele der Theater aus Kassel, Darmstadt, Köln und Frankfurt organisierten, mit der Folge, dass die bis dahin üblichen Wandertheatergruppen gegen die Gastspieltheater keine Chance mehr hatten. Die sehr bescheidenen Räumlichkeiten im Saal eines Cafés in Gießen waren für Bühnenzwecke aufgrund ihrer Unzulänglichkeiten, u. a. illusionsstörenden landwirtschaftlichen Düften und Geräuschen aus der näheren Umgebung, ungeeignet und wirkten ernüchternd auf die anfängliche Begeisterung der Theaterbesucher. Diese Situation veranlasste den bestehenden Theaterverein letztendlich zu einer Änderung seiner Ziele: Zusammenarbeit mit einer auswärtigen Theaterdirektion zur Hebung des künstlerischen Niveaus und Bau eines eigenen Theatergebäudes. Aus finanziellen Gründen wurde außerdem eine Theaterunion mit dem Stadttheater Marburg und dem Kurtheater Bad-Nauheim gegründet.

Neubaupläne
Am 7. Juli 1903 beschloss der Theaterverein, dass sowohl ein Theaterneubau als auch ein Saalbau für Konzerte vonnöten seien. Als Bauplatz erbat man sich von der Stadt den „Schülerschen Garten“ an der Südanlage im alten Festungsgürtel. Eine überschlägliche Berechnung ergab dafür Kosten in Höhe von rund 750.000 Mark. Die Stadtverordnetenversammlung stimmte der Überlassung des Grundstückes zu. Obgleich die geschätzten Kosten sehr hoch erschienen, blieb es zunächst bei der Planung von Theater und Saalbau. Das vom Theaterverein und Konzertvereinigung gebildete Komitee beauftragte den bekannten Theaterarchitekten Prof. Dülfer, München, im Mai 1904 mit einem Vorentwurf und gab ihm als Bausumme 600.000 Mark vor. Daneben wurde der Gießener Architekt Hans Meyer ebenfalls mit einer Planung beauftragt.
Da die Meinungen darüber, ob nun nur ein Theater, nur ein Konzertsaal oder beides gebaut werden sollte, in der Gießener Bevölkerung weit auseinander gingen, rief das Komitee dazu auf, für die gewünschte Variante zu spenden. Bis März 1905 gingen 340.000 Mark für das Theater und nur 20.000 Mark für den Konzertsaal ein. Damit war die Entscheidung zugunsten eines Theaterbaus gefallen. Die Stadtverordnetenversammlung entschied, dass an der Südanlage unter Verwendung der eingegangenen Spenden ein Theater bis zum 300-jährigen Jubiläum der Universität Gießen zu errichten sei.
Die Theaterkommission schrieb zur Erlangung geeigneter Planunterlagen einen beschränkten Wettbewerb aus. Der Entwurf des renommierten Wiener Architekturbüros Ferdinand Fellner/Hermann Helmer fand deren Zustimmung. Der Hauptgrund war der, dass es sich um ein führendes Spezialistenbüro für Theatergebäude handelte, welches zwischen 1890 und 1930 in Europa über 50 Theater errichtete hatte. Nach dem Prinzip des Serienbaus wurden Theater in mehreren Städten baugleich konzipiert und gebaut. So entstand das Gießener Jugendstiltheater in gleicher Form anschließend auch in Gablonz, in Baden bei Wien und in Klagenfurt. Mit der Planung und Bauleitung in Gießen wurde der Gießener Architekt Hans Meyer beauftragt. Die Auftragnehmer waren vertraglich verpflichtet, das Theater bis zum 15. Juli 1907 gebrauchsfertig zu übergeben. Da inzwischen 400.000 Mark von den Bürgern gespendet worden waren, und der Rest von einigen wohlhabenden Bürgern durch Schenkungen aufgebracht wurde, war die Finanzierung sicher gestellt.

Baubeginn
Unter der Regie von Meyer begann am 1. Oktober 1905 der Abbruch des auf dem Grundstück stehenden Hauses und sofort danach die Fundamentgründung des Theaters. Letztere gestaltete sich sehr schwierig, da sich der Standort des geplanten Neubaus neben den im 19. Jahrhundert niedergelegten Wallanlagen und dem noch vorhandenen offenen Wallgraben befand. Der schlammige, mit Kies vermengte Boden musste bis zu einer Tiefe von 5 m ausgetauscht werden, während das Grundwasser Tag und Nacht mittels Pumpen abgesenkt werden musste. Desweiteren stieß man auf alte Festungsmauerreste. Dies alles führte dazu, dass mit den eigentlichen Hochbauarbeiten erst Ostern 1906 begonnen werden konnte.
Trotz dieser Verzögerungen konnte der Rohbau Anfang Dezember 1906 fertig gestellt werden. Die Fertigstellung und Inbetriebnahme konnten planmäßig am 15. Juli 1907 zum 300. Jubiläum der Gießener Universität gefeiert werden.

Außenbau
Das Gebäude mit symmetrischem Grundriss wurde im klassizistischen Jugendstil erbaut und ist bis heute in seinem Äußeren nahezu unverändert geblieben. Seine Lage war durch das vorhandene Straßennetz vorgegeben. Einzig der Haupteingang, so beschloss die Stadtverordnetenversammlung, sollte zur Südanlage hin zu liegen kommen.
Das Theatergebäude sitzt auf einem aus Ettringer Tuffstein gefertigten Sockelgesims. Die Hauptfassade wird dominiert durch einen leicht gewölbten Mittelrisalit mit drei Eingangsportalen und darüber liegenden Jugendstilfenstern sowie durch zwei seitliche Anbauten mit Schmuckfriesen. Das rechte Fries versinnbildlicht mit lebensgroßen Figuren die Geschichte, den Krieg, die Rhetorik, die Kunst und die Wissenschaft, das linke Fries hingegen den Tanz, den Wein, die Musik und die Liebe. Am Mittelrisalit münden die fensterteilenden Pilaster an ihren Enden in symbolische Masken, die das Gebälk tragen: Bosheit, Hohn, Lust, Satyr, Verachtung, Witz und Zorn. Gekrönt wird die Hauptfassade von thronenden Musen: links die Thalia, Muse des Lustspiels, rechts die Melpomele, die Muse des Trauerspiels. Zwischen ihnen ist der bekannte Spruch von Friedrich Schiller zu lesen: „Denn aus der Kräfte schön vereintem Streben erhebt sich wirkend erst das wahre Leben“, unterhalb davon findet sich die Inschrift „Ein Denkmal bürgerlichen Gemeinsinns“. Damit wurde die einmalige Leistung Gießener Bürger gewürdigt, bei einer Einwohnerzahl, die noch nicht einmal 30.000 betrug.

Innenausstattung
Die Architektur im Inneren ist frei entwickelt, und alle der Antike entnommenen Motive sind der modernen Formensprache angepasst. Das Vestibül mit Kassettendecke, Stuckteilung an den Wänden, einem roten Marmorsockel, gelben Marmorstufen, einem römischen Fliesenboden und in Messing facettierten Pendeltüren stimmt den eintretenden Besucher auf seinen Theaterbesuch ein. Von hier aus gelangen die Besucher direkt zu den Parkettsitzplätzen, während die Besucher zum 1. und 2. Rang über beidseitig angeordnete Treppenaufgänge geführt werden. Im 1. Rang befindet sich ein Jugendstil-Foyer. Die Pfeiler zwischen Foyer und Wandelgang waren aus fein poliertem Kunstmarmor in der Farbe des „vert antique" gestaltet und wurden bei der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes im Jahre 1979 erneut umgestaltet.
Das Zuschauerhaus war bei der Fertigstellung des Theaters frei von jeder Überladung. Die in weiß gehaltene Decke war mit in Gold gefassten Ornamenten geschmückt und stand im Kontrast zum satten Rot der Wände sowie den mit rotem Pergamoid bespannten Theatersesseln. Insgesamt machte der Zuschauerraum mit seinen 802 Plätzen einen eleganten Eindruck.
Die Bühneneinrichtung entsprach dem damals üblichen Standard. Die Stellwerke gehörten zu den modernsten in Deutschland. Sie ermöglichten die Durchführung von Schauspiel, Oper und Operettenaufführungen. Der Orchestergraben war so konzipiert, dass er bei Schauspiel- oder Konzertaufführungen angehoben werden konnte und die Bühnenfläche vergrößerte.

Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg
Wie viele Theater in Deutschland wurde auch das Gießener Theater Ende 1944 bei einem verheerenden Bombardement getroffen, wobei glücklicherweise „nur" der Zuschauerraum ausbrannte. Nach einer zunächst nur behelfsmäßigen Instandsetzung konnte bereits im Herbst 1945 wieder Theater gespielt werden. Der modernisierende Wiederaufbau fand im Jahr 1951 statt. Mit Hilfe einer Tombola, die einen Reinerlös in Höhe von 95.000 DM erbrachte, konnte das Theater nach den Plänen von Stadtbaudirektor Harth neu gestaltet werden. Mit den wenigen Mitteln konnten natürlich nur die allernotwendigsten Schäden behoben werden. Dabei wurde auf den Originalzustand nicht immer Rücksicht genommen, da der Jugendstil in der damaligen Zeit einem nüchternen Stil weichen musste.
Erst 1978 entschloss man sich zu einer umfassenden Renovierung. Der Zuschauerraum wurde neu gestaltet und im Bereich der Bühne die gesamte Maschinerie, Drehbühne, Personen- und Tischversenkung erneuert. Außerdem wurde der Orchestergraben erweitert. Vieles, was 1951 verändert worden war, wurde wieder in mühevoller Kleinarbeit hergestellt, so z.B. die Jugendstilfenster im 1. Stock der Hauptfassade.

Renovierung
1998 gab es eine weitere umfassende Renovierung des Zuschauerraumes, der Wandelgänge und des Foyers. Der Zuschauerraum erhielt eine Akustikdecke, eine neue Bestuhlung, und im 1. Stock wurden die Logen wieder eingerichtet. Danach wurden die Obermaschinerie und der Schnürboden komplett saniert.
Bis auf einen Anbau für technische Bereiche ist das Gießener Stadttheater in seinem äußeren Erscheinungsbild nahezu unverändert geblieben. Es erfreut seine Besucher aus Stadt und Land mit vielen Aufführungen von hohem künstlerischen Niveau. Es ist für Mittelhessen die einzige Spielstätte, die alle drei Sparten eines Stadttheaters abdeckt.

Der MAIV Gießen dankt dem Stadttheater Gießen und der Gießener Allgemeinen Zeitung für das zur Verfügungstellen des historischen Schrifttums, insbesondere der beiden Festschriften zum 75. und 100. Jubiläum.

Nach 100 Jahren Erneuerung für ein Gessner-Haus

in: BAUKULTUR 5-2008 (S. 24)

Transluzente Fassade aus glasfaserverstärktem Kunststoff
Ausgabe: BAUKULTUR 2-2007 (S. 15-17)

Kapelle in der Eifel
Ausgabe: BAUKULTUR 3-2007 (S. 18-19)

Schweden und Deutschland
Ausgabe: BAUKULTUR 4-2007 (S. 6)

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